Ein persönlicher Text über Selbstverlust, Ablenkung und den Weg zurück

„Wenn ich ehrlich bin – ich habe mich seit der Geburt verloren. Auch wenn ich Zeit für mich habe, weiß ich nicht mehr, was ich mit mir anfangen soll.“

Schweigen breitet sich zwischen uns dreien aus. Schweigen, das nicht unangenehm ist. Es ist voller Mitgefühl, voller Verständnis. Wir alle kennen das.
Viele von uns – auch ich als Kind – haben früh gelernt: Sei rücksichtsvoll. Achte auf andere. Sei höflich, freundlich, nett, hilfsbereit. Teile. Respektiere die Grenzen der anderen. Aber diese Regeln galten nur in Bezug auf andere. Wenn ich etwas für mich selbst wollte – wehe, ich äußerte es. Die Reaktion war meist Tadel. Abwertende Blicke. Ablehnung. Und zwar von genau den Menschen, die mir wichtig waren: meinen Eltern, anderen nahen Bezugspersonen.

Also tat ich alles für andere – und wurde dafür gefeiert. Und wenn ich doch einmal an mich dachte, wusste meine Umgebung genau, wie sie mich wieder „auf die Reihe kriegt“. Ich lernte schnell, mich abzulenken. Weg von meinen Gefühlen, meinen Gedanken. Schon mit 14 fing ich an zu rauchen, war an den Wochenenden ständig unterwegs, feierte, nahm leichte Drogen. Immer in Bewegung, immer im Außen. Zocken, Lärm, Menschen, Reize. Hauptsache, ich musste mich nicht hören.
Und wenn das nicht mehr reichte, kam Sport. Sich auspowern, bis nichts mehr spürbar war. Oder später als Erwachsene: putzen. Immer auf der Suche nach dem nächsten Staubkorn. Ich kenne Menschen, die bis heute ununterbrochen Radio oder Fernsehen hören – sogar beim Einschlafen. Weil das Innere zu laut geworden ist. Da reicht keine kleine Ablenkung mehr. Da braucht es Dauerberieselung.

Während ich das schreibe, spüre ich Trauer. Tiefe Trauer. Tränen steigen auf. Auch wenn ich inzwischen einen guten Kontakt zu mir habe – ich weiß, wie viel Arbeit es war, dorthin zu kommen. Und wie schnell ich mich wieder verliere, wenn ich nicht wachsam bin. Wie viel Lebensqualität verloren geht, wenn ich mich nicht spüre.
Diese Reise zu mir selbst war lang. Sie dauerte Jahre – und fühlte sich manchmal an wie eine Ewigkeit. Die ersten Schritte machten mir Angst. Meine Welt war das Außen. Das Innen war fremd. Und ich hatte Angst vor dem, was dort lauern könnte. Was, wenn mich die Monster in der Dunkelheit greifen und nie wieder loslassen? Was, wenn ich etwas losstoße, das ich nicht mehr kontrollieren kann? Meine innere Welt war kein vertrauter Ort.

Eine Bekannte hat es einmal treffend formuliert. Wir sprachen über Glaube, über Perspektiven. Sie sagte:
„Wenn ich auch nur einen Teil dessen glauben würde, was du sagst, würde meine ganze Welt zusammenbrechen – und ich hätte nichts mehr.“
Genauso kann es sich anfühlen, wenn wir beginnen, uns selbst zu sehen. Es ist ein Prozess. Und manchmal ist er überwältigend.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Warum sollte ich mir das überhaupt antun? Was bringt es mir?
Die Antwort ist: Freiheit. Frieden. Leichtigkeit. Und die Möglichkeit, wirklich zu sehen. Zu sehen, was Sie ausmacht. Was das Leben Ihnen jeden Tag schenkt. Stille Stunden, die Sie in Verbundenheit mit sich selbst verbringen können. Ruhe im Inneren. Keine kreisenden Gedanken. Einfach nur Frieden. In Ihrem Tempo.
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