Stille Rebellion

Wie ich aufgehört habe, mich zu erklären – und mein Leben in die eigene Hand nahm

Ich durfte heute zum ersten Mal bei der Blognacht von Anna Koschinski dabei sein.

Der Impuls für den Abend lautete: „Wo brichst du gezielt Regeln?“

Mehr über diese wunderbare Veranstaltung erfahren Sie auf: https://blognacht.de/

Die Mutter schaut ihre Tochter an. Alles sieht gut aus. Heute ist mal wieder Grillen mit den Geschäftspartnern angesagt, und da muss alles stimmen. Sie will ja einen guten Eindruck hinterlassen.

 

Sie erinnert sie noch mal an die Regeln: keine Wutausbrüche, immer freundlich und höflich sein und ja nicht etwas sagen, was Unmut streuen könnte.

 

Die Tochter sagt nichts, hört nur still zu. Sie kennt das schon. Sie fühlt sich manchmal wie auf einem Präsentierteller. Alle werden ihren Umgang loben, die klare, schöne Sprache ohne Schimpfwörter und mit einem reichen Wortschatz. Ihre Freundlichkeit wird alle übertreffen.

 

Sie weiß auch, dass viele wieder über ihre Grenzen gehen würden: Berührungen, Küsse auf die Wange. Aber sie muss das alles ertragen. Niemanden darf sie verletzen.

 

Sie hat es einmal getan. Danach war ihre Mutter außer sich und beschuldigte sie, sie nicht zu lieben. Das hat sie traurig gemacht.

Ich erinnere mich an viele ähnliche Momente, auch wenn die Absichten und Regeln nie klar ausgesprochen wurden.

Immer für andere da sein und nicht an mich denken. Das Einzige, was zählt, ist das Glück der anderen. Und um dieses Bild aufrechtzuerhalten, gab es in der Familie und in der Gesellschaft viele Regeln, die nicht gebrochen werden sollten. Sonst war die Ablehnung die Strafe.

 

Ich habe mich diesem Willen gebeugt. Ich wollte geliebt und akzeptiert werden. Und obwohl ich erwachsen wurde, waren diese Regeln einfach Teil meines Lebens.

 

Die Auswirkungen waren verheerend.

 

Ich habe Konflikte gescheut und habe meine Meinungen verpackt, bis nichts mehr von mir übrig war. Niemand nahm mich ernst, und es dauerte lange, bis ich laut wurde – was dann aber nicht mehr nett war. Dies wiederum löste in mir schlechtes Gewissen aus, und der Kreislauf begann von vorne.

 

Da ich mich selbst nicht wirklich zeigte, konnten meine Beziehungen auch nur oberflächlich bleiben.

 

Ich vergesse nie eine alte Freundin, die mir die Chance gab, mich zu zeigen. Sie nahm nie ein Blatt vor den Mund, hat oft geschimpft und war alles andere als freundlich und höflich. Sie brachte mich stark aus meiner Komfortzone. Ihr Verhalten war oft grenzverletzend, und ich musste mich oft für meine Meinung rechtfertigen.

Es hat einige Monate gedauert, bis ich alte Muster aus meiner Kindheit entdeckte. Der entscheidende Moment kam, als wir in der Linzergasse, einer Einkaufsstraße in Salzburg, spazierten. Sie erzählte mir von ihrer scheinbar ungerechten Strafe wegen Falschparkens. Dabei redete sie über den Kontrolleur und die Polizei, wo sie sich beschwert hatte, stark verletzend. Ich wollte nicht eingezogen werden und sagte ihr einfach: „Ich war nicht dabei und kann die Situation nicht beurteilen.“

Das hat sie voll in Rage gebracht – bis hin zu Tränen und Beschuldigungen, dass ich keine gute Beraterin sein könne und vollkommen unsensibel sei. Sie hat sich dann weggedreht und geweint.

 

In diesem Moment erkannte ich: So will ich nicht mehr behandelt werden.

 

Ich bin nicht für das Glück der anderen verantwortlich, und ich muss mich nicht immer für alle meine Handlungen oder Meinungen rechtfertigen.

 

An diesem Tag entschied ich mich, weiterzugehen – und zum ersten Mal in meinem Leben nicht mehr auf das Spiel eines anderen einzusteigen.

Und obwohl unsere Freundschaft nach einer Funkstille weiterging, hat sich in mir etwas verändert. Ich wurde selbstbewusster, und ich merkte, wo meine Grenze ist. Diese Grenze begann ich seit diesem Tag zu pflegen. Bei der nächsten Auseinandersetzung wurde die Funkstille für immer.

 

Ich habe damit nicht nur eine Regel gebrochen, mit der ich aufgewachsen bin. Ich habe mir endlich erlaubt, aus dem ungeschriebenen Gesetz der Familie und der Gesellschaft auszusteigen: Ich muss dazugehören.

 

Mir wurde klar, dass ich lieber alleine bin, als mich jemals wieder selbst zu verraten. Und wenn jemand mich nicht mag, so wie ich bin – dann passt es mit uns einfach nicht.

Regeln zu brechen muss nicht immer laut oder rebellisch sein. Manchmal sind es stille Momente, die uns klar machen, wo unsere Grenze ist und was wir bereit sind mitzumachen.

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